Andrew Morton, links, und Bernd Pfeil im Container von Tiny Brew. Foto: Martin Rolshausen

Von der Plörre-Angst zur eigenen Brauerei am Rande der Republik

Martin Rolshausen

Bernd hätte sich das gerne erspart. Aber das „Da muss ich dann wohl durch“-Gefühl war stärker als sein Widerwille. Sein Sohn spielte mit dem Sohn von Andrew Fußball. Und Andrew hatte ihn eingeladen, bei sich zuhause ein selbstgebrautes Bier zu trinken.  „Was wird das wohl für eine Plörre sein?!“, habe er gedacht, erinnert sich Bernd.  Kurz darauf wurde aus dem gedanklichen „Würg!“-Reflex ein ausgesprochenes „Wahnsinn!“

Es ist ein paar Jahre her, seitdem Andrew Morton Bernd Pfeil ein Glas mit Golden Ale in die Hand gedrückt hat. Aber dieses eine Bier war nicht nur der Anfang einer wunderbaren Freundschaft, es hat Bernds Leben verändert.

Andrew Morton, oben links, und Bernd Pfeil, brauen mit Tiny Brew in Hochsee-Containern am Rande der Republik. Fotos: Martin Rolshausen

Die beiden haben von da an in Saarbrücken zusammen Bier gebraut. Irgendwann hat Andrew, ein Schotte, der seit einem Vierteljahrhundert in Deutschland lebt, aber auch schon als Manager einer Gasthausbrauerei in den USA gearbeitet hat, übers Internet eine in den Staaten angebotenen Biersommellier-Ausbildung absolviert. Nachts um eins ist er wegen der Zeitverschiebung aufgestanden und hat, vor dem Computerbildschirm sitzend,  Bier verkostet, erzählt Andrew. „Und dann kam er irgendwann mit IPA um die Ecke“, erinnert sich Bernd. Er hat beschlossen, auch eine solche Ausbildung zu machen – nicht übers Netz und über den Atlantik hinweg, sondern bei Doemens in Bayern und bei Kiesbye in Österreich.

Je mehr Bernd gelernt hat, desto mehr Fragen hatte er. Er hat sich immer tiefer reingekniet ins Thema Bier. Dann kam Corona. Bis dahin hat Bernd im IT-Consulting gearbeitet. „Plötzlich hatte ich keinen Job mehr, aber einen Keller voller Bier“, erzählt der heute 64-Jährige. Das, was bis dahin ein „ambitioniertes Hobby“ war, wurde zum Beruf. Als das wieder möglich war, ist Bernd mit seinem Bier auf Wochenmärkte. Dort hat er interessante Menschen kennengelernt und die Idee entwickelt, selbst sogenannte Mondscheinmärkte am Abend zu organisieren. Er ist zu Städten und Gemeinden in der Umgebung und hat gesagt: „Ich bringe 30 Händler, die was Besonderes machen.“ Einige Kommunen sind darauf angesprungen. „Da ist eine gute Gemeinschaft entstanden“, sagt Bernd – eine Gemeinschaft, in der man voneinander profitiert.

Mit diesem Wagen ist Tiny Brew auf Märkten unterwegs. Foto: Martin Rolshausen

 Dann hat Bernd den Biergarten im Weltkulturerbe Völklinger Hütte übernommen. Der Biergarten in Saarbrückens Nachbarstadt ist ein weiterer guter Ort, das eigene Bier an den Mann und die Frau zu bringen.

Die 50-Liter-Brauanlage wurde zu klein. Vor einem halben Jahr hat Bernd deshalb im saarländischen Kleinblittersdorf, einen Steinwurf entfernt von der französischen Grenze, seine eigene Brauerei aufgebaut: Tiny Brew. In Hochsee-Containern braut er nun auf einer 500-Literanlage, die er aus einer Insolvenzmasse ersteigert hat. Drei Gär- und acht Lagertanks sowie eine Abfüllanlage für Flaschen und Fässer hat er in den drei Containern untergebracht. Das Gelände hat er mit einem geliehenen Bagger selbst hergerichtet. Das Wasser kommt zwar noch über eine Leitung vom Nachbargrundstück, weil die Gemeinde sich bisher weigert, ihm einen eigenen Anschluss zu legen, aber immerhin kann er bald von der improvisierten Baustromanlage auf eine „normale“ Energieversorgung umstellen. Rund 200 Hektoliter will er im Jahr brauen und verkaufen.

Andrew, inzwischen 59 Jahre alt, hat seinen Freund auch bei diesem Abenteuer nicht im Stich gelassen. Zusammen brauen die beiden unter anderem ein Roggen-Märzen, IPAs, Helles und Export. Das zapft er im Biergarten als „Hüttenbier“. Denn das Export war das Bier der Arbeiter, nicht nur in den saarländischen Gruben und Hütten. „Dann wurde Pils vermarktet als Bier für die besseren Leute. Export war plötzlich das Assi-Bier“, erklärt Bernd. Aus dieser Ecke will er es wieder rausholen. Das scheint, zumindest in der 40.000-Einwohner-Stadt Völklingen, zu gelingen. Dort hat die Stadtverwaltung Bernds Export im vergangenen Jahr zum offiziellen Bier des 1200-Jahre-Stadtjubiläums gemacht.

Zum 1200 Geburtstag der Stadt Völklingen hat Tiny Brew ein Export gebraut, das einstige Bier der Hütten- und Grubenarbeiter. Foto: Martin Rolshausen

Eine neue Brauerei mit neuem Bier? Weil sich Bernd noch gut an seine eigene innere Abwehrhaltung erinnert, weiß er, dass sowas nicht von alleine läuft. „Das geht am besten, wenn man mit den Leuten redet“, sagt er. Dafür sind die Mondscheinmärkte ein idealer Ort. Am erklärungsbedürftigsten ist das Grape Ale von Tiny Brew. „Das ist ein italienischer Bierstil, der erst 2015 seinen Weg in den BJCP-Style-Gide gefunden hat. Grape Ale ist ein echter Hybrid zwischen Bier und Wein. Dabei ist es für den Bierstil egal, in welcher Reifestufe der Wein mit dem Bier zusammengebracht wird“, erklärt Bernd. Als Basis nutzt Tiny Brew ein klassisches Weizenbier. „Es wird ein bisschen mehr Hopfen als beim klassischen Weizen dazugegeben, damit man ein Gegengewicht zur Fruchtigkeit des Weins hat. Am Anfang gibt es eine reine Biergärung. Nach dieser Gärung wird die Hefe abgezogen und Süßreserve vom Winzer hinzugegeben. Eine Sekthefe wird zur zweiten Gärung eingesetzt. Nach dem Ende dieser Gärung reift das Grape Ale im Fass, wird karbonisiert, in Flaschen gefüllt und dort zur Reife gebracht“, beschreibt der Brauer die Entstehung seiner Grape Ale.

Weil dieses Bier eine gute Alternative zum im Saarland beliebten elsässischen Crémant ist, füllt er es nur in 0,75-Liter-Flaschen ab. Das Bier hat es wie einige andere von Tiny Brew auch ins Regal der saarländischen Filialen einer großen Supermarktkette geschafft.

Bernd hat zwar gerade erst richtig angefangen, aber er schließt eine weitere Wendung in seinem Leben nicht aus: „Wenn ich hier keine Lust mehr habe, baue ich alles ab, verlade es auf ein Schiff und baue es auf Teneriffa wieder auf.“

Auf einen Blick

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