Der Bierumsatz geht weiter zurück – trotz Fußball-EM sogar im Juni, raunte es durch die deutsche Medienlandschaft. „Bier und Fußball, das gehört für viele Fans noch immer zusammen. Die Hoffnungen der Brauereien auf gute Geschäfte während der EM aber haben sich nicht erfüllt. Der Vergleich mit der Heim-WM 2006 fällt besonders ernüchternd aus“, schrieb etwa Spiegel Online. Wenn aber nicht einmal der Fußball den Bierabsatz steigern kann, was kann dann überhaupt noch die deutsche Bierkultur retten? Dieser Frage wollen wir in diesem Sommer nachgehen. Wir wollen dazu mit einigen Menschen aus der Branche sprechen – gewagte und weniger gewagte Thesen aufstellen, zum Nachdenken und Mitdiskutieren anregen. Ein spannender Gesprächspartner ist natürlich Holger Eichele, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bunds.
Teil 3: Wie der Deutsche Brauerbund die Bier-Krise sieht
In Sachen Bierabsatz falle der Vergleich zum „Sommermärchen“ 2006 ernüchternd aus, teilt Veltins mit. Damals lag der Bierabsatz im Juni den Angaben der Brauerei zufolge bei etwa 11 Millionen Hektolitern und damit drei Millionen höher als im Juni dieses Jahres. Können Sie die Zahlen bestätigen? Und: Woran liegt das Ihrer Einschätzung nach, Herr Eichele?
Holger Eichele: Die Zahlen sind zutreffend. Insgesamt bewegte sich der Bierabsatz im ersten Halbjahr 2024 zwar nur leicht unter dem Vorjahresniveau (-0,6%). Der Juni jedoch lag mit minus 11,2 % deutlich unter dem Vorjahr. Es wurde im Juni 2024 mit einem Bierabsatz von 777 Millionen Litern sogar das niedrigste Ergebnis in einem Juni seit 1993 erzielt.
Ein Hauptgrund für diesen Einbruch dürfte neben dem durchwachsenen Wetter die Konsumzurückhaltung der Verbraucher sein, die nicht nur dem Handel zu schaffen macht, sondern insbesondere der Gastronomie und den Brauereien. Gerade auch während der Fußball-EM haben die Achterbahnfahrt der Temperaturen und die häufigen Unwetter vielen Wirten das Geschäft verhagelt, so manche Gartenparty fiel ins Wasser.
Die Menge Bier, die eine Brauerei verkauft, sagt noch nicht zwingend etwas darüber aus, wie sie wirtschaftlich dasteht. Denn Umsatz ist ja nicht Gewinn. Wäre es in der Diskussion um die Krise der Bierbranche also erst einmal hilfreich, sich von Hektolitern als Erfolgsmaßstab zu lösen?
Holger Eichele: Jede Brauerei bewertet ihren unternehmerischen Erfolg nach Umsatz und Gewinn. Hektoliter sind ein Maßstab für Konsum und Absatz, den wirtschaftlichen Erfolg der Branche spiegeln sie aber nur unzureichend wider. Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass Deutschlands Brauereien zwischen 2008 und 2023 zwar 21 Prozent Hektoliter-Absatz eingebüßt, aber fast 10 Prozent beim Umsatz zugelegt haben. Daran ist zu erkennen, wie sich Umsatz und Absatz entkoppeln.
Aber wie Sie selbst schreiben: Umsatz ist nicht Gewinn. Die unverändert hohen Produktionskosten machen allen Betrieben zu schaffen, so dass trotz der Zuwächse bei den Umsätzen die Kostensteigerungen allenfalls nur zu einem kleinen Teil an den Lebensmittelhandel weitergeben können. Für die fast 1.500 überwiegend handwerklichen und mittelständischen Brauereien in Deutschland bleibt 2024 deshalb ein forderndes Jahr, allein schon wegen des schwierigen Konsumklimas und der angespannten weltpolitischen Lage. Vor diesem Hintergrund sind für den nationalen Biermarkt derzeit Wachstumsraten nicht in Sicht.
In weiten Teilen der Kundschaft hat Bier offenbar das Image eines Billiggetränks. Vor allem die Großbrauereien beflügeln dieses Image durch Preiskämpfe im Handel. Ist das nicht ruinös für die ganze Branche?
Holger Eichele: Ich kann Ihre Einschätzung nicht teilen. Es mag einzelne Marken geben, die das Image eines Billiggetränks bewusst pflegen, das bedeutet aber nicht, dass deshalb eine ganze Kategorie so in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.
„Wir kritisieren den ruinösen Preiskampf“
Zum Handel: Wir kritisieren den ruinösen Preiskampf, den große Handelskonzerne zulasten der gesamten Lebensmittelwirtschaft führen. Hier werden rücksichtslos Werte vernichtet. Niemand versteht, weshalb ein in Deutschland mit Handwerkskunst und besten heimischen Rohstoffen gebrautes Bier durchgehend billiger zu haben ist als simple Softdrinks.
Es ist sehr zu begrüßen, dass die Bundesregierung und das Bundeskartellamt die Marktmacht des Lebensmittelhandels in Deutschland nun endlich genauer unter die Lupe nehmen und Konsequenzen angekündigt haben. So wurden Gesetze eingeführt oder angepasst, um unfairen Handelspraktiken entgegenzuwirken. Ein Beispiel ist das Gesetz, das Lieferanten vor unfairen Bedingungen schützen soll, die ihnen von großen Handelsketten auferlegt werden.
Gerade in Zeiten der Krise, in denen Menschen eher zurückhaltend sind und genauer abwägen, wofür sie Geld ausgeben und wofür nicht, stellt sich die Frage: Wie können wir Bier in Wert setzen? Anders formuliert: Wie schaffen wir es, dass Bier als etwas Wertvolles wahrgenommen wird, als etwas Besonderes, als etwas, auf das man nicht verzichten möchte?
Holger Eichele: Wir sehen es als unsere Aufgabe an, die Wertschätzung für unser Produkt wieder deutlich zu erhöhen. Und Wertschätzung drückt sich eben auch im Preis aus.
Der Verdacht drängt sich auf: Wenn Helles, auf das jetzt viele Brauereien setzen, eine der wichtigsten Antworten auf die Krise der Bierbranche ist, dann haben viele die Frage nicht richtig verstanden. Denn dann wird statt Pils künftig eben mehr Helles verramscht. Es würde jedenfalls sehr wundern, wenn die deutschen Medien im kommenden Jahr Schnappatmung kriegen, weil Dank einer riesigen Auswahl an Hellem die Menschen wieder deutlich mehr Bier trinken und die Brauereien aufatmen. Oder?
Holger Eichele: Immer mehr Brauereien bieten Hellbiere an, weil die Nachfrage dazu bundesweit gestiegen ist. Hellbiere haben einen milden und ausgewogenen Charakter, sind weniger bitter als Pils und haben oft eine leichte Malzsüße, was eben vielen Biertrinkern zusagt. Helles wird oft als modernes, geselliges und leicht trinkbares Bier präsentiert, was besonders jüngere Konsumenten anspricht. Der allgemeine Trend zu leichteren Getränken kann als auch hier eine Rolle spielen.
Alkoholfreie nur knapp hinter dem Hellen
Pils ist und bleibt derzeit mit einem Marktanteil von knapp 50 Prozent die mit Abstand beliebteste Biersorte in Deutschland, gefolgt von Hellbieren (10%) und alkoholfreien Bieren, die sich mit 8 Prozent Marktanteil auf den dritten Platz vorgearbeitet und das Weißbier (6%) verdrängt haben. Mit anderen Worten: Der Marktanteil von Pils ist stabil, unbeeindruckt vom Wachstum des Hellen, das eher zulasten von anderen Sorten zu gehen scheint.
Die jüngere Generation hat offenbar das Interesse an Bier verloren? „Wenn meine Kinder weggehen, dann trinken die alles, nur kein Bier“, hat uns neulich ein Bierliebhaber geschrieben. Wie kann man diese Generation für Bier begeistern? Sagen Sie jetzt bitte nicht: durch Mischgetränke!
Holger Eichele: Tatsache ist: Generell geht der Alkoholkonsum von Jugendlichen und jungen Menschen in Deutschland seit Jahren deutlich zurück und ist auf einem historisch niedrigen Stand. Studien zeigen, dass junge Menschen heute wesentlich bewusster und vernünftiger mit Alkohol umgehen als frühere Generationen. Viele Faktoren haben zu dem merklichen Rückgang des Bierkonsums unter jungen Menschen geführt. So legen Jüngere zunehmend Wert auf einen gesunden Lebensstil.
Wandel der Trinkkultur
Gleichzeitig hat das Angebot an alkoholfreien und alternativen Getränken stark zugenommen (Energiedrinks, Cocktails, Smoothies etc.). Auch der Geschmack und die Präferenzen junger Menschen haben sich geändert, sie probieren gerne immer wieder neue Marken. Soziale Medien und Influencer spielen hier eine große Rolle bei der Beeinflussung von Trends und beim Wandel der Trinkkultur. Vor diesem Hintergrund ist es eine große Herausforderung, die jüngere Zielgruppe wieder mehr für Bier zu begeistern.
Welche Rolle kann alkoholfreies Bier spielen?
Holger Eichele: Aktuell liegt Deutschland mit mehr als 800 alkoholfreien Marken und einem Marktanteil alkoholfreier Biere von 8 Prozent am deutschen Biermarkt an der Weltspitze. Bald wird jedes zehnte in Deutschland gebraute Bier alkoholfrei sein. Kein anderes Segment der Brauwirtschaft hat in den letzten zehn Jahren so stark zugelegt wie alkoholfreie Biere und alkoholfreie Biermischgetränke. Seit 2007 hat sich die Produktion alkoholfreier Biersorten in Deutschland sogar mehr als verdoppelt – auf 665 Millionen Liter im Jahr 2023. Nach Branchenangaben konnten alkoholfreie Biere im 1. Halbjahr 2024 im Handel bundesweit zweistellige Wachstumsraten bei Absatz und Umsatz verzeichnen. Wir rechnen damit, dass alkoholfreie Biere und alkoholfreie Biermischgetränke bis 2030 weiter wachsen werden, gerade auch im Export zeichnen sich beträchtliche Chancen ab.
„Hören wir auf, Hektoliter-Zahlen zum Erfolgsmaßstab zu machen!“, hieß es im ersten Teil dieser Reihe.
Im zweiten Teil haben wir ins faszinierende Bierland Belgien geschaut.
Vor einem Jahr haben wir mit dem damals neuen Präsident des Deutschen Brauer-Bund bereits über die Lage der Branche gesprochen. Das Interview findet Ihr hier.
(Das Titelbild zeigt ein Werk des Künstlers Mike Hieronymus: Der Pinkt Panther betet Bier der saarländischen Karlsberg-Brauerei an – das natürlich nicht wirklich in edlen Flacons abgefüllt wird. Das zweite Foto zeigt Holger Eichele und ist vom Deutschen Brauer-Bund.)
(5. August 2024)