Es gibt in der Bierbranche diesen ungebrochenen Trend: Alkoholfreie Biere werden immer beliebter. Das geht wirklich schon ziemlich lange so. Aber jetzt wird’s richtig wild – und lecker.
Jedes Jahr, wenn die Absatzzahlen des Vorjahres raus sind und wenn Chefredakteurinnen und Redakteure sich vornehmen, mal wieder was über Bier zu machen (oft und gern um den 23.April, den Tag des Bieres), dann hört oder liest man Sätze wie: „Während der Pro-Kopf-Bierkonsum der Deutschen auch in diesem Jahr wieder leicht zurückging, legte das Segment der alkoholfreien Biere zu.“
Wer bei alkoholfreiem Bier bisher an Radlerhosen und sportelnde Männer um die Fünfzig denken musste, der kann sich nun über bessere Kopfbilder freuen: Das Thema alkoholfreies Bier bekommt mehr Sexappeal. Von extragehopften Craft-Alkoholfreien über fancy Sauerbier ohne Promille bis zu einer schicken Londoner Bar, die ausschließlich Biere ohne Alkohol ausschenkt – „low and no“ ist ein Megatrend in der Bierwelt (und eigentlich auch nicht nur da).
Die Alles-Ohne-Bar
Manchmal sind die Schachzüge von Brewdog recht offensichtlich – aber deshalb nicht weniger smart: Im Januar 2020 eröffneten die Schotten „BrewDog AF“, die weltweit erste alkoholfreie Brewdog-Bar mitten in der englischen Hauptstadt. Und ab Tag Eins war der Laden voll (und dann irgendwann kam Corona und alles war anders, aber das sei an dieser Stelle soweit es geht ausgeklammert). Das wundert nicht, wenn man weiß, dass im Königreich der „Dry January“ ein großes Ding ist. Viele, wirklich viele nehmen das mit dem Detoxen nach Völlerei und Festtagen ernst und verzichten zumindest die ersten Wochen des jungfräulichen, neuen Jahres auf Alkohol. „Wir haben in dieser Bar zweistellig mal mehr Umsatz gemacht als im Januar des vergangenen Jahres, als dort noch unsere Craft-Bier-Bar Draft House beheimatet war“, erzählt Marcus Thieme, CEO von Brewdog Deutschland.
Neben dem Dry January feiern viele übrigens auch den Sober October. Und unabhängig von Jahreszeiten zeigt sich, dass die jüngere Generation ein anderes Verhältnis zu Alkohol hat als die Älteren. Klar, Alkohol ist einer, wenngleich ein keinesfalls unproblematischer, gesellschaftlicher Schmierstoff. Alkohol begründet Ehen oder zumindest One-Night-Stands, Alkohol lässt Feste rauschen und Menschen näher zusammenrücken. (Er zerstört aber freilich auch Ehen und lässt Feste eskalieren, das anzumerken ist müßig aber wichtig.) Alkohol wird sicherlich nicht aus unserer Kultur verschwinden, aber der Umgang damit wird – Achtung, Modewort – deutlich bewusster.
Generation 0,00% Vol.
In Großbritannien hat man sich des Phänomens unlängst mittels einer Befragung von Millennials genähert. Dabei sagten 56 Prozent von denen, ihr Umgang mit Alkohol sei „bewusst“. Bei den Babyboomern gaben das nur 37 Prozent zu Protokoll. Gründe sehen die Experten in der generellen Gesinnung der berüchtigten Generation Z: Sie lebt achtsamer, gesünder (geistig wie körperlich, Stichwort vegan, Mindfulness, Entschleunigung, Yoga usw.) und denkt mehr über negative Folgen von Handeln und Kaufentscheidungen nach (Plastikbecher, Billigmode, Langstreckenflüge). Die jungen Menschen, die freitags für die Zukunft demonstrieren, sind tief bemüht darum, es besser zu machen.
Und wer sich einmal fragt: „Was bringt mir ein Vollrausch und was hat das möglichweise für negative Folgen?“ kommt vermutlich nicht zu dem Entschluss, sich jeden Freitag wegzuknallen.
Das Ganze führt schnell zu einem sich selbst verstärkenden Prozess. Während vor zwanzig Jahren der eine in der Runde, der das Alkoholfreie bestellt hatte, entweder – logisch – der Fahrer war, oder kurz – höhö – deshalb aufgezogen wurde, während die Frau mit „nur O, kein Sekt“ automatisch als wahrscheinlich schwanger galt, ist es heute in Kreisen der nach der Jahrtausendwende Geborenen irgendwie voll OK, auch mal nichts zu trinken. Heißt ja nicht, dass man nie trinkt. Und selbst das kann man – ohne sich all zu sehr und ständig rechtfertigen zu müssen. In diesem Klima ist Abstinenz gleich noch mal viel leichter – und häufiger.
Was trinken sie dann?
Spannend ist nun freilich die Frage: Ja, was trinken die denn stattdessen? Leitungswasser? Nein. Oft nicht. Und hier liegt das große Potential für alkoholfreie Getränke, die spannender sind als Wasser oder Apfelschorle. So wie alkoholfreier Wein (ja, auch ein echtes, großes Thema mit spannenden Playern wie in Deutschland etwa Kolonne Null), alkoholfreier Sekt, Cocktails mit ohne (der Pionier auf dem Gebiet alkoholfreier Spirituosen, Seedlip, wurde ganz schnell von einem der weltgrößten Spirituosenkonzernen, Diageo, übernommen – so viel Potenzial steckt da drin) – und natürlich alkoholfreies Bier.
Vor sagen wir mal acht Jahren hätte eine alkoholfreie Bierbar schlicht keinen Sinn gemacht, denn die Getränkekarte wäre auf im Grunde zwei unterschiedliche Produkte beschränkt gewesen: alkoholfreies Weißbier und alkoholfreies Lager (mag mal eher Pils und mal eher Helles sein). Das sind die Klassiker der Alkoholfreien „Aubis“. Aubi, das war der Name des mutmaßlich ersten alkoholfreien Bieres. Eine Erfindung der DDR, übrigens. Und Aubi, das steht für „Autofahrerbier“. Die Alternative für den, der noch fahren muss. Die Option B, wenn Option A (ein „echtes“ Bier) aus Gründen halt nicht möglich ist. Aus dem reinen Funktionsgetränk (für Autofahrer und Stillende wegen der Null-Promille oder für Sportler wegen isotonisch und so) wird nun getrieben von der Craft-Bewegung ein Genussgetränk, das man wählt, weil es schmeckt.
IPA, Porter, Stout, Sour – alles AF
Zunächst machten die alkoholfreien IPAs auf sich aufmerksam. Viel und besonders fruchtiger Aromahopfen im Null-Prozent-Bier funktioniert gut, das macht das Getränk gleich viel spannender als die bisher gekannten Alkoholfreien. Allerdings müssen Brauerin und Brauer schon ein bisschen aufpassen: Wenn Alkohol fehlt und der Körper damit nicht ganz so kraftvoll ist, kann’s auch schnell arg bitter werden, wenn das nicht mittels einer schlauen Malzschüttung (gern bisschen dunkler) ausgeglichen wird. Ziemlich unerhört ist nun die Idee eines alkoholfreien Stouts. Die Kreativbrauerei Kehrwieder hat das gemacht, der „Road Runner“ ist ein Stout ohne Alkohol, dafür aber mit Koffein aus verarbeiteten Kaffeebohnen. Das Nittenauer „Lola“ funktionert als Coffee Porter ähnlich. Und Sebastian Jakob aus Nittenau hat auch ein alkoholfreies Wit gemacht – mit Orangenschalen und Koriander. Und auch Sauerbiere gibt es ohne Alkohol – Brewdogs Raspberry Blitz zählt mit seinen knappen 0,5 % Vol. in diese Kategorie.
Kleine Hefe statt großer Technik
Dass die kleineren Brauer nun Plötzlich auf dem Feld der alkoholfreien Biere so will mitmischen können, ist der Forschung zu verdanken. War das Entalkoholisieren von Bieren (etwa durch Filtration/Osmose oder Verdampfung) bisher superaufwendig und supersuperteuer, machen es neue Hefen möglich für quasi Null Mehrkosten Biere ohne Alkohol zu brauen. Maltose-negative Hefen sind das, Torulaspora delbrückii oder Saccharomyces ludwigii. Die mögen, wie die Bezeichnung schon nahe legt, Maltose nicht besonders, genau verschmähen sie die beiden häufigsten Malzzucker. In der Folge produzieren sie auch keinen oder zumindest kaum Alkohol.
Dank dieser Entwicklung ist das Angebot in Sachen Biere ohne Alkohol immens viel bunter geworden. So bunt, dass es sich tatsächlich einmal lohnen würde, dazu eine gemütliche, private Verkostung zu starten. Mal einen ganzen Schwung kreuzunterschiedlicher Biere ohne Alkohol gekauft und mal hintereinander weg verkostet. Ohne Reue und Schmerzen am nächsten Tag. Und mit dem süßen Gefühl, zumindest im Geiste noch ganz jung, quasi eine oder einer von der jungen Generation zu sein.