In kaum einer anderen deutschen Brauerei finden so viele namhafte Gypsie-Brauer ein Zuhause wie in der von Jörg Binkert in Breitengüßbach. Dabei ist das Brauhaus Binkert selbst noch ein junges recht junges Start-Up.
Die Geschichte des Brauhaus Binkert in Breitengüßbach ist ein Lehrstück darüber, warum man nie, aber auch wirklich nie, niemals Rückschlüsse aus Äußerlichkeiten ziehen sollte. Weder bei Menschen, noch bei Bierflaschen. Und warum es sich immer lohnt, einmal genauer hinzuschauen und einfach nachzufragen.
Steht da nämlich die 0,5l Euroflasche „MAINSeidla“ aus dem Brauhaus Binkert in Franken vor einem auf dem Tisch, ist man relativ schnell verführt zu denken: Ah, verstehe schon, worum es geht. Fränkisches Bier. Weißte Bescheid: Tradition. Handwerk. Zoigl. Kellerbier. Und so. Vermutlich Brauer in elfter Generation, gegründet vor 375 Jahren etc. pp. Schnell, bring den Willibecher. Sehr zum Wohle, ein Prosit der Gemütlichkeit.
Start-Up und feministisch motivierter Seriengründer
Dabei steckt hinter dem „MAINSeidla“ etwas ganz anderes. Ein gerade mal fünf Jahre altes Start-Up nämlich, ein Serial-Entrepreneur (im Geiste, zumindest) und eine Trotzreaktion auf die Ungleichbehandlung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Ja, wirklich: Das Brauhaus Binkert als ein feministisches Projekt zu bezeichnen, ginge zwar sicherlich etwas zu weit, aber letztlich rührte daher das finale Quäntchen „Jetzt aber wirklich“, das es braucht, um lang gehegt Pläne und mutige Vorhaben tatsächlich in die Tat umzusetzen.
Wie bitte was? Der Reihe nach: Jörg Binkert wächst als Sohn eines Apothekers in Franken auf. Einer Apothekerfamilie, muss man sagen. Über Generationen hinweg. Und eigentlich hatte auch Jörg Binkert Apotheker werden sollen – wenn sich nicht gerade rechtzeitig seine Schwester bereit erklärt hätte, die Familientradition fortzuführen. „Das war ein großes Glück, denn damit bekam ich die Freiheit, mir einen anderen Beruf auszusuchen“, erzählt der 47-Jährige. Er entscheidet sich für Brauer und Mälzer.
Ganzes Buch voller Gründungsideen
Nach seiner Lehre bei Felsenbräu in Thalmannsfeld studiert er Brauwesen in Weihenstephan, sammelt Erfahrungen bei Bavaria in Holland und wird schließlich der jüngste Technische Leiter einer bayerischen Brauerei bei Lammsbräu in der Oberpfalz. 2000 wechselt er in die Brauindustrie und heuert beim Brau- und Mälzungsanlagenhersteller Kaspar Schulz an. Doch während all dieser Jahre lässt ihn der Gedanke nicht los, irgendwann sein eigenes Ding zu machen. Er habe da immer schon etwas Unternehmerisches in sich gespürt, sagt Jörg Binkert. „Ich habe ein ganzes Buch voller bunter Geschäftsideen daheim – und nichts ist was geworden“, sagt er und lacht. „Erst bei der Brauereigründung 2012 habe ich gemerkt: Hoppla, da geht ein Rädchen ins andere, das muss jetzt eigentlich klappen.“
Vielleicht lag das aber ja auch daran, dass Binkert diese Geschäftsidee nicht allein, sondern mit seiner Frau Anja anpackte. Nachdem sie drei Kinder großgezogen hatte, wollte sie nach 15 Jahren zurück ins Berufsleben – und bekam ganz schön Gegenwind. „Ganz ehrlich: Das ist schon eine Frechheit, was man sich heutzutage als Frau und Mutter da anhören muss“, sagt Jörg Binkert. Und so beschlossen die Binkerts: Wisst Ihr was? Dann halt nicht. Dann starten wir eben unser eigenes Unternehmen.
Ein fränkisches Dorf ohne Brauerei? Eine Einladung für den Brauereigründer.
Die Zeit dafür schien Jörg Binkert äußerst günstig. Gerade erst hatte die letzte traditionelle Privatbrauerei in Breitengüßbach dicht gemacht. Und eine fränkische Gemeinde ohne eigene Brauerei – was ist das schon? Das ist doch wie ein Dorf ohne Kirche! Geht gar nicht. Da war also definitiv eine Marktlücke. Zack, rein da.
Außerdem, überlegten die Binkerts sich, wären sie 2012 doch „Early Adopter“, „First Mover“, wenn sie jetzt nur schnell anfingen, dieses Craft Beer zu machen. Das kam da ja gerade erst auf. Eine kleine Microbrewery, eine Garagenbrauerei nach amerikanischen Vorbild, die IPAs und Porter braut und Craft Beer in einem Brewpub ausschenkt – das wäre es doch, dachten sich die Binkerts. Aber sowohl der Bürgermeister als auch der Getränkegroßhändler von Breitengüßbach rieten ihnen energisch ab: Bloß nicht, sagte der Getränkegroßhändler. Craft Beer, pah, was soll denn das sein? Wir sind doch hier in Franken, die Leut‘ wollen fränkisches Bier, kein Kraftbier. Und überhaupt, warum kleinklein und Garagenbrauerei, sagte der Bürgermeister. Komm, wenn schon, dann gscheid.
Kein Craft (erstmal) und gscheid
„Zum Glück habe ich auf beide gehört“, sagt Jörg Binkert heute. „2012 wären die Leute hier noch nicht reif gewesen für Craft Beer im engeren Sinne und wenn ich denen mit einem IPA gekommen wäre, hätte ich sie nur geschockt.“ Allein sein Amber und das Porter, das ließ er sich nicht ausreden und braute beide Biere von Anfang an. Aber gut getarnt aus der klassisch anmutenden Mainseidla Flasche rinnt es den Franken gut die Kehle runter. Reicht ja auch wenn man von einem „dunklen Bier“ redet, muss ja das „Porter“ nicht überstrapazieren.
Den Tipp vom Bürgermeister, es doch „gscheid“ zu machen, beherzigen die Binkerts auch: 1,5 Millionen Euro investieren sie in den Neubau einer Brauerei plus Ausschank im Industriegebiet von Breitengüßbach. Soweit es geht machen sie alles selbst. Er neben seinem Fulltimejob bei Kaspar Schulz, sie als dreifache Mutter. Freizeit, Urlaub, abends früh ins Bett oder gemütliche Wochenenden als Familie? Eher nicht. Stattdessen: Businessplan schreiben bis Mitternacht und jeden Sonntag auf der Baustelle. 2012 eröffnet das Brauhaus Binkert – ohne einen einzigen Mitarbeiter. Jörg Binkert selbst braut das ganze Wochenende durch, unter der Woche managt seine Frau den Ausschank und die Verwaltung der Brauerei. „Vier Jahre war es Harakiri – aber das war es wert“, sagt Jörg Binkert rückblickend. Mittlerweile haben die Binkerts 17 Mitarbeiter und waren in diesem Jahr sogar zwei Wochen im Urlaub. „Und das hat super geklappt“, freut der Brauereigründer sich. „Auch, weil ich ja mit meinem Handy auf den Sudhausrechner gehen kann.“
Ein Herz für Gypsies
„Gscheid“ heißt auch, dass Jörg Binkert mit einem 15 Hektoliter Sudhaus startet, Jahreskapazität 4500 Hektoliter. Und die sind bald schon ausgereizt. Denn völlig ungeplant wird das Brauhaus Binkert zu einem gar nicht so geheimen Geheimtipp in der deutschen Craft Beer Szene: Hier können Gypsie Brauer hervorragende Biere brauen.
Angefangen hat alles damit, dass eines Tages Jeff Maisel bei den Binkerts im Biergarten saß. „Ich kannte den noch vom Studium. Aber als er so anfing, zu fragen, ob er hier mal brauen könnte, habe ich erst gar nicht verstanden, wieso und was er eigentlich will.“ Schließlich hat der doch seine eigene riesige Brauerei in Bayreuth. Wobei „riesig“ eben genau das Problem war. „Dann fing er an zu erzählen, dass er plane unter dem Namen Maisel & Friends neuen Sorten auszuprobieren und dass er dafür eine kleinere Anlage brauche.“ Eine kleinere, moderne Anlage. So eine, wie die von den Binkerts eben.
Die Brauer wurden sich schnell einig und so entstanden drei Jahre lang Maisel & Friends Bierrezepte in Breitengüßbach. Und das sprach sich in der Szene herum. „War dem Jeff ja auch ganz wichtig, das immer transparent zu machen, wo er braut und so“, sagt Binkert. „Und so kamen eben immer mehr Anfragen von anderen Gypsie Brauern.“ Einer der Ersten war Wendelin Quadt von Kuehn Kunz Rosen, der bis vor Kurzem die allermeisten seiner Biere im Brauhaus Binkert produzierte (mittlerweile hat er eine eigene Brauerei in seiner Heimatstadt Mainz eröffnet). Es folgten die Superfreunde aus Berlin, Hopfmeister aus München, das Cottbuser Labieratorium, die Brewdewds, Veto, Yankee & Kraut,Rehbocks Braumanufaktur und mehr. „So kommen wir auf über 30 Sorten Bier, die wir hier brauen. Und so konnte ich mir im Mai letzten Jahres einen eigenen Brauer leisten“, sagt Jörg Binkert.
Jetzt ist Franken reif für Craft Beer
Was dabei natürlich nicht zu kurz kommen darf, ist das eigene Bier, das eigene Craft Beer. Denn die Idee, klassisches Craft Beer in seiner Brauerei zu machen, Hopfengestopftes und IPAs und all so etwas, hat Binkert 2012 nur aufgeschoben, nie aufgehoben. Inzwischen ist der Markt dafür bereit. Mehr als das: Er giert geradezu nach Craft Beer. Craft Beer von hier, wohlgemerkt. „Jetzt kommen die fränkischen Getränkehändler auf mich zu und sagen, sie brauchen fränkisches Craft Beer. Sie wollen kein Hamburger Craft Beer in ihrem Sortiment aufnehmen, das Interesse an regionalen Produkten sei viel zu groß.“ Das mag in Franken, das mag aber auch in Sachen Bier ganz besonders so sein. „Da muss man sich doch nur mal zum Beispiel Schanzenbräu in Nürnberg anschauen“, sagt Jörg Binkert. „Wären die anfangs als Craft Brauer aufgetreten, wäre das nichts geworden. So ist Schanzenbräu aber als neue Nürnberger Brauerei an den Start gegangen und ist damit bis heute super erfolgreich.“
Gerade in Franke sei der Begriff Craft Beer umstritten. „Das Argument hier ist schnell: ‚Ach, bei uns in der Traditionsbrauerei ist auch alles Handwerk, wir sind auch craft, immer schon.‘ Darauf sage ich aber: Ein Helles zu einem dunklen Bier einzufärben, indem man Farbebier beigibt, hat mit Handwerk wenig zu tun.“ Und: „Das Handwerkliche ist das eine, die neuen Sorten sind das andere. Es kann keiner in Franken behaupten, er hätte ‚immer schon‘ ein IPA gebraut. Oder dass sein Großvater schon hopfengestopft habe. Das stimmt einfach nicht. Ich wüsste nicht, dass irgendjemand in Deutschland kaltgehopft hat, bevor die Idee mit den Craft Beeren hier ankam. Oder auch die Kombination verschiedener Hefen – da trauen sich viele überhaupt nicht ran.“
Insofern lohnt es sich eben, genau hinzuschauen und nachzufragen. Auch wenn man auf den ersten Blick vielleicht meint, schon so ziemlich genau zu wissen, was man da denn nun so vor sich hat. Craft oder nicht, fränkisch, traditionell – oder eben auch ganz überraschend und anders.