Markus und Donka Fohr

Als Billig-Bier wird Pils untergehen

Martin Rolshausen

Der Bierumsatz geht weiter zurück – trotz Fußball-EM sogar im Juni, raunte es durch die deutsche Medienlandschaft. „Bier und Fußball, das gehört für viele Fans noch immer zusammen. Die Hoffnungen der Brauereien auf gute Geschäfte während der EM aber haben sich nicht erfüllt. Wenn aber nicht einmal der Fußball den Bierabsatz steigern kann, was kann dann überhaupt noch die deutsche Bierkultur retten? Dieser Frage wollen wir weiter nachgehen. Wir haben dazu bereits mit einigen Menschen aus der Branche gesprochen und wollen mit weiteren sprechen – gewagte und weniger gewagte Thesen aufstellen, zum Nachdenken und Mitdiskutieren anregen. Markus Fohr ist Chef der Lahnsteiner Brauerei und als neu gewähltes Präsidiumsmitglied im Verband der Diplom-Biersommeliers für Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Teil 7 Wie der Verband der Diplom-Biersommeliers die Lage bewertet:

Der Bierabsatz geht in Deutschland zurück. Woran liegt das Deiner Einschätzung nach?

Markus Fohr: Hier spielen eine ganze Reihe von Faktoren eine Rolle. Dazu gehört sicher das gestiegene Gesundheitsbewusstsein. Hinzu kommt, dass junge Menschen häufig aus unterschiedlichen Gründen komplett auf Alkohol verzichten. Auch viele Menschen mit Migrationshintergrund verzichten vollständig auf Alkohol. Auch Rituale wie das Feierabendbier oder den Frühschoppen gibt es nicht mehr. Zu vielen Gelegenheiten ist Alkohol mittlerweile tabuisiert: Am Arbeitsplatz, beim Führen eines Kfz, bei Krankheit, bei Schwangerschaft, in der Stillzeit, vor und nach und während dem Sport und vieles mehr.

Die Menge Bier, die eine Brauerei verkauft, sagt noch nicht zwingend etwas darüber aus, wie sie wirtschaftlich dasteht. Denn Umsatz ist ja nicht Gewinn. Wäre es in der Diskussion um die Krise der Bierbranche also erst einmal hilfreich, sich von Hektolitern als Erfolgsmaßstab zu lösen?

Markus Fohr: Definitiv ja. Der Erfolg eines Unternehmens besteht im Gewinn, nicht im Umsatz. Auch der Insolvenzrichter sieht das so.

In weiten Teilen der Kundschaft hat Bier offenbar das Image eines Billiggetränks. Vor allem die Großbrauereien beflügeln dieses Image durch Preiskämpfe im Handel. Ist das nicht ruinös für die ganze Branche?

Markus Fohr: Definitiv ist es das. Wir erleben derzeit die Discountisierung des Pilsbieres – was faktisch zu seinem Untergang führen wird. Etwas Ähnliches haben wir in den 1960ern und 1970ern beim Export erlebt. Es war der Bierstil Nr. 1 in Deutschland, bis es das Image als Billig- und Bauarbeiterbier erhielt. Im Anschluß verschwand es in vielen Regionen Deutschlands völlig vom Markt. So wird es auch dem Pils ergehen – es ist häufig kaum noch teurer als die Preiseinstiegsbiere in den Discountern.

Gerade in Zeiten der Krise, in denen Menschen eher zurückhaltend sind und genauer abwägen, wofür sie Geld ausgeben und wofür nicht, stellt sich die Frage: Wie können wir Bier in Wert setzen? Anders formuliert: Wie schaffen wir es, dass Bier als etwas Wertvolles wahrgenommen wird, als etwas Besonderes, als etwas, auf das man nicht verzichten möchte?

Markus Fohr: Wir Biersommeliers geben Bier Geschichte und Geschichten. Wir informieren über Rohstoffe und Braumethoden oder geben Genussempfehlungen. Hinzu kommen Themen wie Regionalität und Naturbelassenheit. Es gibt ausreichend Themen, um Bier Wertigkeit zu verleihen. Und auch das sieht man im Getränkemarkt. Viele Bierstile und Biermarken verlangen 20 € und mehr für einen Kasten, viele Craftbiere 3 – 5 € oder mehr für eine Flasche. Und die Menschen kaufen, denn sie schätzen, suchen und erkennen das Besondere.

Der Verdacht drängt sich auf: Wenn Helles, auf das jetzt viele Brauereien setzen, eine der wichtigsten Antworten auf die Krise der Bierbranche ist, dann haben viele die Frage nicht richtig verstanden. Denn dann wird statt Pils künftig eben mehr Helles verramscht. Es würde jedenfalls sehr wundern, wenn die deutschen Medien im kommenden Jahr Schnappatmung kriegen, weil Dank einer riesigen Auswahl an Hellem die Menschen wieder deutlich mehr Bier trinken und die Brauereien aufatmen. Oder?

Markus Fohr: In dieser Phase sind wir noch nicht, aber die Gefahr besteht natürlich. Helles würde dann denselben Weg gehen wie aktuell das Pils. Aber vielleicht hat der Handel ja dann doch verstanden, dass er an 9,99 € für 20 x 0,50 l keinen Gewinn erwirtschaftet. Was auch immer verramscht wird – den Bierkonsum steigert das nicht, es verlagert ihn nur.

Die jüngere Generation hat offenbar das Interesse an Bier verloren? „Wenn meine Kinder weggehen, dann trinken die alles, nur kein Bier“, hat uns neulich ein Bierliebhaber geschrieben. Wie kann man diese Generation für Bier begeistern?

Markus Fohr: Man kann die junge Generation durchaus begeistern. Sie ist offen für vieles – was vom „klassischen Biertrinker“ nicht behaupten kann. Sie liebt Werte wie Naturbelassenheit, Regionalität und Tradition. All das bietet aber natürlich auch die Gastronomie nicht. Da gibt´s meist drei Biere vom Hahn – ein Pils, ein Pils und noch ein Pils. Definitiv: Wir können diese Generation begeistern, müssen sie aber auch in begeisternder Weise ansprechen.

Welche Rolle kann alkoholfreies Bier spielen?

Markus Fohr: Eine positive, das sehen wir am wachsenden Absatz alkoholfreier Biere. Diese entsprechen dem aktuellen Trend – Genuss ohne Sorge um Alkoholkonsum. Und ein alkoholfreies Bier schmeckt sicher besser als Wasser und kann auch viele individuelle Geschmäcker bieten.

Habe ich etwas vergessen?

Markus Fohr: Vielleicht ein Fazit. Wenn Bier begeistern soll, dann braucht es begeisternde Geschichten, begeisternde Rezepte, begeisternde Aromen, begeisternde Präsentation, begeisternde Genussempfehlungen – die dürfen dann auch was kosten. Für ein austauschbares Angebot, das jederzeit zu haben ist, sind 9,99 € zu viel.

Die bisherigen Beiträge zur Diskussion:

„Hören wir auf, Hektoliter-Zahlen zum Erfolgsmaßstab zu machen!“, hieß es im ersten Teil dieser Reihe.

Im zweiten Teil haben wir ins faszinierende Bierland Belgien geschaut.

Im dritten Teil haben wir mit Holger Eichele, dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bunds gesprochen.

In Teil vier ging es darum, was Axel Kiesbye Brauereien rät.

https://www.hopfenhelden.de/ein-schwieriger-markt-auch-wegen-des-mehrwegsystems/In Teil fünf hat Maximilian Krieger vom Verein der Deutschen Kreativbrauer für Vielfalt geworben.

David Hertl hat in Teil sechs unter anderem das Problem mit dem Mehrwegsystem angesprochen.

(Das Foto zeigt Markus Fohr und seine Frau Donka.)

(6. November 2024)