Es heißt, das Besondere im Einfachen zu finden, sei ein Zeichen unserer Zeit. Deshalb fahren manche jetzt wieder Fahrräder ohne Gangschaltung und mahlen andere morgens ihre Kaffeebohnen von Hand. Das alles kann man gut finden, muss man aber nicht. Nur einer so banalen wie hervorragenden Kombination kann eigentlich keiner widerstehen: Wurst und Bier. In der Berliner Markthalle Neun findet bereits zum zweiten Mal ein Markt statt, auf dem es nichts anderes zu kaufen gibt als genau das: Wurst und Bier. Wieso, weshalb, warum und überhaupt wo und was erklärt Nikolaus Driessen, einer der drei Betreiber im Interview.
Es ist ein guter Ort, die Markthalle Neun in Berlin Kreuzberg. Ein guter Ort, an dem lauter gute Sachen zusammen kommen: Pulled Pork und Eier von glücklichen Hühnern, Menschen mit Visionen und ziemlich hervorragendes Craft Beer.
Wie so oft in Berlin liegen auch hier gute und nicht ganz so gute Orte ziemlich dicht nebeneinander. Im Falle der Markthalle muss man zuerst an einem Kik und einem Aldi vorbei, bevor man dann in der guten, alten Halle steht, in der große Industrieleuchten von der Decke hängen und wo es nach Kaffee und heißer Suppe aus der Kantine Neun riecht. Es ist Dienstag, ein Markttag. In der Mitte hat ein Gemüsehändler seinen Stand voller Mangold und Butternusskürbis aufgebaut. In einem der Seitengänge unterhalten sich der Schweizer-Käse-Verkäufer und die Börek-Frau, das Mädchen hinter den Marmeladenstand liest eine Zeitung. Der Big Stuff Smoked BBQ Stand hat noch geschlossen, dafür ist in der gläsernen Backstube von Alfredo Sironi viel los. Wie gesagt: Ein guter Ort, irgendwie.
2011 bewarben sich Florian Niedermeier, Bernd Maier und Nikolaus Driessen als Betreiber der damals nahezu leerstehenden, 120 Jahr alten Markthalle in der Eisenbahnstraße, Kreuzberg. 1891 war die als eine von insgesamt vierzehn Berliner Markthallen eröffnet worden und war damals state-of-the-art. Auch nach dem zweiten Weltkrieg noch wurde die Markthalle Neun als eine solche genutzt, aber in den 1970ern begann ihr langsamer Abstieg: Erst zog ein Aldi ein, dann ein Drospa, später eben dieser hässliche Kik. „Die Geschichte der Markthalle steht sinnbildlich für die Entwicklung in Deutschland: Dass die Leute nämlich immer mehr in Supermärkten angefangen haben einzukaufen“, erzählt Nikolaus Driessen.
Die Märkte starben aus und die Kreuzberger Markthalle Neun verwaist – bis Niedermeier, Maier und Driessen mit einer Idee auf den Plan treten, die lange schon in ihren Köpfen reift: Sie wollten einen Markt für Berlin machen. Einen Lebensmittelmarkt – und zwar einen besonderen. Einen, auf dem man „anders einkaufen“ und „anders essen“ kann, wie die Betreiber sagen. Regional, saisonal, fair, aber auch oft genug direkt vom Erzeuger und vor allem: verdammt lecker.
2011 eröffnet die Markthalle Neun. Seit dem haben sich ein Weinhändler und ein Küchenutensilienverkäufer angesiedelt, es gibt eine Fischräucherei, und am Eingang hat ein Café eröffnet, das speciality coffee brüht. Dienstag, Freitag und Samstag ist Wochenmarkt, auf dem Landwirte und Produzenten aus der Region Fleisch, Gemüse, Eier, Marmelade und Käse verkaufen. Mit etwas Glück erwischt man hier auch „The Sausageman Never Sleeps“, einen jungen Neuseeländer, der ausgerechnet nach Deutschland, das Wurstland, gekommen ist, um Bratwürste zu machen. Ein spanisches Paar verkauft eigens importierte, gloriose spanische Käse (18 Monate in irgendwelchen Höhlen gereift und so). Und jeden Donnerstagabend servieren beim „Street Food Thursday“ Berlins beste Foodtrucker famose Snacks auf die Hand. Man sollte früh kommen, der Streetfood-Markt ist immer bummsvoll.
In der Markthalle Neun gibt es Berlins vermutlich bestes smoked meat und feierte der Ramen-Burger Deutschlandpremiere. Und am Sonntag, den 8. Februar findet hier nun also „Wurst & Bier“ statt: Zwanzig Craft Beer Macher und ungefähr ebenso viele Metzger haben sich angekündigt. Brewcifer, Buddelship, Kehrwieder, Ale-Mania. Pax-Bräu, Vagabund, Bierfabrik, Flying-Turtle, Schoppe-Bräu, Hans Müller Sommelierbier, Riedenburger, Wildwuchs – ach, name it: alle da! Die Veranstaltung findet bereits zum zweiten Mal statt. Das erste Mal vor ziemlich genau einem Jahr war ein gigantischer Erfolg. So voll war die alte Halle noch nie.
Ganz ehrlich: Im Grunde ja voll unspektakulär. Wurst und Bier. Das ist das Standard-Abendessen meines Vaters. Immer schon gewesen. Und dessen Vaters. Und vermutlich auch davor schon immer aller Väter. Steht die Markthalle Neun nicht für Ausgefalleneres?
Das stimmt, auf den ersten Blick ist Wurst und Bier ganz schlicht und einfach. Gleichzeitig ist beides, Wurst vielleicht sogar noch ein bisschen mehr als Bier, heutzutage ein divers diskutiertes Thema, das tausend Spielarten hat. Außerdem passen Wurst und Bier als Themen gut zusammen, weil sie an einem ähnlichen kritischen Punkt in ihrer Entwicklung stehen: Es sind ohne Frage zwei urtraditionelle Produkte, auf die man im Ausland immer wieder angesprochen wird, weil sie so auch so etwas Deutsches sind. Gleichzeitig fällt Deutschland in beiden Bereichen gerade zurück. Beim Bier zeigt es sich daran, dass die Amerikaner mit ihrer Craft Beer Bewegung so viel weiter sind als wir. Bei der Wurst dasselbe: In Deutschland ist dieses ursprüngliche Handwerk bedroht, weil keiner mehr Metzger werden will, da gibt es kaum Nachwuchs und handwerkliche Fleischreibetriebe sterben schlichtweg aus. Auf der anderen Seite gibt es sowohl beim Bier als auch bei der Wurst mehr und mehr Leite, die diese Produkte ganz innovativ angehen, sich kreativ mit dem Thema auseinandersetzen, eben Craft Brewer wie Johannes Heidenpeter oder der Foodaktivist Hendrik Haase alias Wurstsack.
Und so kamt Ihr auf die Idee zu diesem Markt?
Wir haben davor schon gute Erfahrungen mit unterschiedlichen Themenmärkten gesammelt. Der „Naschmarkt“ zum Beispiel ist eine Veranstaltung, bei dem Pâtissiers, Konditoren, Bonbonmacher und so weiter zusammen kommen. Oder die „ Cheese Berlin“, unser Käsemarkt. Wir haben also überlegt, für welche anderen Produkte oder Produktkombinationen man so etwas anbieten könnte. Der erste Versuch, den wir gemacht haben, war ein Käse- und Wein-Markt. Aber aus welchen Gründen auch immer – das kam gar nicht richtig so gut an.
Bier schlägt Wein?
Wenn man so will… Die Kombination mit Wurst fanden wir jedenfalls total sinnvoll. Ziel unserer Themenmärkte ist es nämlich immer, eine „breite Masse“ im besten Sinne anzusprechen. Also auch: Einerseits haben wir natürlich einen speziellen Anspruch und wollen vom Angebot her so interessant sein, dass auch die Spezialisten kommen. Andererseits aber wollen wir auch bewusst Leute in die Halle reinziehen, die sich noch nicht so bewusst mit dem Thema Lebensmittel auseinandergesetzt haben und die sich über den Geschmack des Produktes für einen bestimmten Themenmarkt interessieren. Da sind Wurst und Bier natürlich perfekt: Das isst jeder gern.
Das heißt, was für ein Publikum darf man auf der diesjährigen „Wurst und Bier“ erwarten?
Wir bekommen oft als Feedback von den Ausstellern, dass das Berliner Publikum extrem interessiert ist. Viele sind noch gar keine Spezialisten in den Themen, aber aufgeschlossen. Die Aussteller sind auch von dem Interesse der Leute an dem, was sie tun, überwältigt. Das ist ja auch eine Form der Wertschätzung. Ich denke, das ist in Berlin qua Geschichte so, einfach, weil man hier so lange auf dem Trockenen saß. In den letzten Jahren hat sich da was entladen, foodmäßig. Und wir werden als Ort dafür, als Plattform, genutzt.
Und wie sieht es bei den Ausstellern aus? Wie wählt ihr die aus?
Wir haben feste Kriterien. Vor jedem Markt setzten wir uns mit Slow Food zusammen, unserem Kooperationspartner, und arbeiten einen Kriterienkatalog aus. Dadurch, dass wir das selber machen, nehmen wir uns die Freiheit, da genau hinzuschauen. Im Zweifel fahren wir sogar auch einmal zu einem Produzenten hin und schauen uns das an. Und natürlich sagen wir auch mal Nein zu Bewerbern.